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Der Entwurf des Verbandssanktionengesetzes aus Sicht der Industrie – Teil 1

Der Druck auf Unternehmen wächst, von Mittelstand bis Großindustrie. Das geplante Verbandssanktionengesetz könnte noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden und das Sanktionsregime für Unternehmen grundlegend verändern. Zugleich stellt der Entwurf Unternehmen vor neue Compliance-Herausforderungen.
Nachdem sich zahlreiche Wirtschaftsverbände und Vertreter aus Anwaltschaft und Forschung kritisch zum Entwurf geäußert haben, bekommt das Gesetzesvorhaben auch im Bundesrat kräftig Gegenwind. Der federführende Rechtsausschuss und der Wirtschaftsausschuss des Bundesrats haben sich in einer am 8. September 2020 veröffentlichten Stellungnahme für eine Ablehnung des Gesetzentwurfs ausgesprochen. Für den 18. September 2020 ist eine Diskussion im Plenum des Bundesrats vorgesehen.
Dr. Tobias Brouwer und Dr. Christian Rosinus diskutieren den Entwurf des Verbandssanktionengesetzes aus Sicht der Industrie, welche Anreize und potenzielle Fallstricke der Entwurf für Unternehmen bereithält und wie sich ein Verbandssanktionengesetz auf die Compliance-Praxis in Unternehmen auswirken könnte.
Hier finden Sie die Ausschussempfehlung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft:
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0401-0500/440-1-20.html
Das Loveparade-Verfahren: Learnings für die Compliance-Praxis

Die Loveparade-Katastrophe hat sich vor Kurzem bereits zum zehnten Mal gejährt. Der Prozess um die Tragödie in Duisburg, der sich zentral mit der Frage nach Verantwortlichkeit beschäftigte, ist vor wenigen Monaten zu einem Abschluss gekommen. Für Unternehmen liefern die Erkenntnisse aus dem Loveparade-Prozess wichtige Learnings: Welche Fehlerquellen lauern in der Compliance-Struktur, insbesondere wenn es um Großprojekte oder Joint Ventures geht? Wie kann ich bestehende Compliance-Risiken identifizieren und vermeiden? Und wie lässt sich gute Compliance auch bei komplizierten Zuständigkeits- und Verantwortungskonstellationen gewährleisten?
Diese Woche zu Gast im Criminal Compliance Podcast ist Dr. Ingo Bott, der den Loveparade-Prozess aus der Perspektive eines Individualverteidigers miterlebt und bearbeitet hat. Mit Dr. Christian Rosinus bespricht er, welche Rolle Compliance in komplexen Großverfahren spielt und was Unternehmen aus den Erkenntnissen des Loveparade-Prozesses für ihre eigene Compliance-Struktur lernen können.
Abschnitte eines Wirtschaftsstrafverfahrens
Die Situation, mit einem Wirtschaftsstrafverfahren konfrontiert zu sein, ist häufig selbst erfahrenen Führungskräften neu. In dieser Woche geht es im Podcast darum, Ihnen einen Überblick über den Ablauf eines Wirtschaftsstrafverfahrens zu geben. Dr. Christian Rosinus erklärt die Abschnitte eines Wirtschaftsstrafverfahrens, vom Ermittlungsverfahren bis zum Urteilsspruch, und was Beschuldigte, Angeklagte oder Dritte im Verfahren erwartet.
Wie läuft ein Wirtschaftsstrafverfahren ab?
Wirtschaftsstrafverfahren lassen sich – wie Strafverfahren im Allgemeinen – in verschiedene Verfahrensabschnitte unterteilen. Ausgangspunkt eines jeden Strafverfahrens ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Bis es zu einem Urteilsspruch kommt, durchläuft das Verfahren die Stadien Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren. Je nach Einzelfall können sich Rechtsmittelverfahren und Vollstreckungsverfahren anschließen.
Was passiert im Ermittlungsverfahren?
Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens ist sozusagen der verfahrensrechtliche „Startschuss“. Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens übernimmt regelmäßig die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungsmaßnahmen werden von der Polizei oder anderen Ermittlungspersonen, wie beispielsweise der Steuerfahndung, ausgeführt. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist grundsätzlich, dass ein Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat besteht. Je nach Delikt findet die Strafverfolgung nur dann statt, wenn außerdem ein Strafantrag gestellt wird.
Von diesem „Startschuss“ werden Beschuldigte häufig gar nichts mitbekommen. Ermittlungsbehörden halten diese Information Beschuldigten gegenüber oftmals zurück, um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Spätestens wenn man beim Gang zum Briefkasten eine Vorladung zur Vernehmung vorfindet oder die Ermittlungsbeamtinnen und -beamten mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür stehen, ist klar, da läuft ein Ermittlungsverfahren. Im schlimmsten Fall gibt es bereits einen Haftbefehl und die oder der Beschuldigte wird in Untersuchungshaft genommen.
Werden Sie als Beschuldigte oder Beschuldigter mit Ermittlungsmaßnahmen in einem Wirtschaftsstrafverfahren konfrontiert, ist es grundsätzlich ratsam, sich mit einer Verteidigerin oder einem Verteidiger zu besprechen. Insbesondere vor einer Vernehmung sollten Sie mit Ihrem Rechtsanwalt abstimmen, ob und in welchem Umfang eine Äußerung zum Vorwurf juristisch sinnvoll erscheint. Sobald Sie als Beschuldigte oder Beschuldigter im Verfahren geführt werden, steht es Ihnen nämlich frei, ob Sie Angaben zum Vorwurf machen oder nicht. Sie sind nicht verpflichtet, an der Strafverfolgung mitzuwirken.
Auch wenn Sie als Zeugin oder Zeuge zu einer Vernehmung geladen werden, kann das Hinzuziehen einer Anwältin oder eines Anwalts sinnvoll sein. Jedenfalls sollten Sie vor einer Aussage genau prüfen, ob Sie sich oder nahe Angehörige damit selbst belasten und der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen könnten.
Wie das Ermittlungsverfahren endet, entscheidet sich anhand des Ermittlungsergebnisses. Erscheint die Verurteilung überwiegend wahrscheinlich, wird die Staatsanwaltschaft Anklage beim zuständigen Gericht erheben oder den Erlass eines Strafbefehls beantragen.
Nicht jedes Ermittlungsverfahren führt aber zur Anklageerhebung oder zur Beantragung eines Strafbefehls. Tatsächlich endet ein Großteil der Strafverfahren durch Einstellung, entweder mangels Tatverdachts oder aus Opportunitätsgründen z.B. gegen Zahlung einer Geldauflage.
Gerade in Wirtschaftsstrafverfahren besteht durch gute Strafverteidigung bereits im Ermittlungsverfahren oft erhebliches Potenzial. Hier können frühzeitig wichtige Weichen gestellt werden.
Nach der Anklageerhebung: Zwischen- und Hauptverfahren
Kommt es zur Anklageerhebung, schließt sich das Zwischenverfahren an. In dieser Phase entscheidet das zuständige Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Ergeht ein Eröffnungsbeschluss, folgt das Hauptverfahren, das im Wesentlichen aus der mündlichen Hauptverhandlung besteht.
Welches Gericht die Hauptverhandlung führt, hängt vom Vorwurf und der Straferwartung ab. Während für geringfügigere Kriminalität das Amtsgericht als erste Instanz zuständig ist, werden Fälle schwererer Kriminalität erstinstanzlich vor dem Landgericht verhandelt. Für viele Wirtschaftsstrafsachen ist bei den Landgerichten eine spezielle Wirtschaftsstrafkammer zuständig, die in Wirtschaftskriminalität erfahren und auf diese Fälle spezialisiert ist.
Die Entscheidung im Hauptverfahren – Was droht Angeklagten?
Das Hauptverfahren endet durch die Entscheidung des Gerichts – Urteil oder Freispruch. Das Gericht kann zu Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilen, letztere gegebenenfalls unter Aussetzung zur Bewährung. Welche Strafe konkret im Raum steht, hängt vom Einzelfall ab und lässt sich nicht pauschal beantworten. Die richtige Strafe zu finden, gehört zu den Kernaufgaben des Gerichts und wird durch verschiedenste Faktoren beeinflusst, wie z.B. der Vorbelastung der oder des Angeklagten.
Werden keine Rechtsmittel eingelegt, wird das Urteil rechtskräftig und die Strafe vollstreckt. Wird das Urteil mit Rechtsmitteln angefochten, geht das Verfahren sozusagen in die nächste Runde: Es folgt das Rechtsmittelverfahren.
Das Landgericht als erste Instanz – Was ist zu beachten?
Während die Verhandlung vor einer hochspezialisierten Wirtschaftsstrafkammer auch für Beschuldigte von Vorteil sein kann, sind mit der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Landgerichts einige Hürden verbunden.
Ist das Landgericht als erste Instanz zuständig, entfällt grundsätzlich die Aussicht auf eine zweite Tatsachenistanz. Was bedeutet das nun? Gegen Urteile des Amtsgerichts kann in der Regel Berufung eingelegt werden. Dann wird das Verfahren in zweiter Instanz – nun beim Landgericht – weitergeführt. Das Landgericht wird in diesem Fall als zweite Tatsacheninstanz eine neue Beweisaufnahme durchführen. Beginnt das Verfahren aber schon beim Landgericht als Erstinstanz, gibt es grundsätzlich keine zweite Tatsacheninstanz. Will ich ein Urteil anfechten, bleibt mir hier regelmäßig nur die Revision. Anders als im Berufungsverfahren werden im Revisionsverfahren allerdings nur Rechtsfragen überprüft. Da nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung steht, ist eine gute Strafverteidigung umso wichtiger.
Hinzu kommt, dass die Verhandlung vor dem Landgericht weniger ausführlich dokumentiert wird als eine solche vor dem Amtsgericht. Während das Verhandlungsprotokoll beim Amtsgericht als sog. Wortprotokoll geführt wird, fehlt in Verhandlungsprotokollen des Landgerichts insbesondere eine Wiedergabe des Inhalts der in der Verhandlung gemachten Aussagen. Auch die Anfertigung von Ton- oder Videoaufzeichnungen der Verhandlung – mittlerweile Standard in vielen anderen Rechtsordnungen – hat sich in Deutschland bisher nicht durchgesetzt.
Obwohl es in Verhandlungen vor den Landgerichten um schwerwiegendere Vorwürfe und höhere Strafen geht, werden diese schlechter dokumentiert und lassen weniger Raum für Überprüfung. Diese Kuriosität des deutschen Strafprozessrechts ist seit Langem Gegenstand der Reformdiskussionen.
Fazit
Gerade in Wirtschaftsstrafsachen können Strafverfahren äußerst komplex werden und ziehen sich nicht selten über mehrere Jahre in die Länge. Bereits in frühen Verfahrensstadien kann gute Strafverteidigung den Ausgang eines Wirtschaftsstrafverfahrens maßgeblich beeinflussen. Es kann sich also lohnen, hier nicht zu zögern und die Verteidigerin oder den Verteidiger frühzeitig ins Boot zu holen.
Eigenverantwortung und Strafrecht im Finanzwesen – Wie fühlt man sich als Opfer von Wirtschaftskriminalität? – Teil 2

Vom Sitzenbleiber zu einem der führenden Finanzkoryphäen und Speaker in Deutschland. Als Kenner der Branche zeigt Ludger Quante auf, warum Altersvorsorge keinen Sinn macht, sparen nichts für Optimisten ist und Geld nicht den Charakter verdirbt, sondern entlarvt.
Dr. Christian Rosinus stellt im Gespräch mit Ludger Quante die Frage: Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man Opfer einer Straftat wird? Und wie gehen Geschädigte damit um?
Insbesondere im Finanzwesen gibt es viele Graubereiche zwischen Moralempfinden und strafrechtlicher Realität. Die Linie zu strafrechtlich relevantem Verhalten kann schnell überschritten sein. Gleichzeitig spielt gerade in der Finanzbranche das Thema Eigenverantwortung eine große Rolle. Ob sich jemand betrogen fühlt oder nach strafrechtlichen Maßstäben auch tatsächlich und nachweisbar betrogen wurde, sind zwei Paar Schuhe. Das Rechtssystem hat die Aufgabe, hier sorgfältig zu trennen und – unter Wahrung strafprozessualer Vorgaben – für ein rechtskonformes Ergebnis zu sorgen. Für Betroffene wird das Resultat nicht immer zufriedenstellend sein. Hinzu kommt, dass Verfahren insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht eine beachtliche Verfahrensdauer erreichen können, u.a. aufgrund von Kapazitätsgrenzen bei Ermittlungsbehörden und Gerichten. Für Geschädigte und Beschuldigte kann dieser „Schwebezustand“ bis zum Abschluss des Verfahrens frustrierend sein. Mit dem Verbandssanktionengesetz am gesetzgeberischen Horizont könnte sich die Überlastung der Justiz weiter verschärfen.
Dr. Christian Rosinus und Ludger Quante diskutieren in zwei kontroversen Folgen wie es dazu kommen kann, dass man strafrechtlich geschädigt wird, welche Rolle Compliance und Unternehmenskultur im Wirtschaftsstrafrecht spielen und an welchen Stellen der Gesetzgeber gefragt wäre.
Eigenverantwortung und Strafrecht im Finanzwesen – Wie fühlt man sich als Opfer von Wirtschaftskriminalität? – Teil 1

Vom Sitzenbleiber zu einem der führenden Finanzkoryphäen und Speaker in Deutschland. Als Kenner der Branche zeigt Ludger Quante auf, warum Altersvorsorge keinen Sinn macht, sparen nichts für Optimisten ist und Geld nicht den Charakter verdirbt, sondern entlarvt.
Dr. Christian Rosinus stellt im Gespräch mit Ludger Quante die Frage: Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man Opfer einer Straftat wird? Und wie gehen Geschädigte damit um?
Insbesondere im Finanzwesen gibt es viele Graubereiche zwischen Moralempfinden und strafrechtlicher Realität. Die Linie zu strafrechtlich relevantem Verhalten kann schnell überschritten sein. Gleichzeitig spielt gerade in der Finanzbranche das Thema Eigenverantwortung eine große Rolle. Ob sich jemand betrogen fühlt oder nach strafrechtlichen Maßstäben auch tatsächlich und nachweisbar betrogen wurde, sind zwei Paar Schuhe. Das Rechtssystem hat die Aufgabe, hier sorgfältig zu trennen und – unter Wahrung strafprozessualer Vorgaben – für ein rechtskonformes Ergebnis zu sorgen. Für Betroffene wird das Resultat nicht immer zufriedenstellend sein. Hinzu kommt, dass Verfahren insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht eine beachtliche Verfahrensdauer erreichen können, u.a. aufgrund von Kapazitätsgrenzen bei Ermittlungsbehörden und Gerichten. Für Geschädigte und Beschuldigte kann dieser „Schwebezustand“ bis zum Abschluss des Verfahrens frustrierend sein. Mit dem Verbandssanktionengesetz am gesetzgeberischen Horizont könnte sich die Überlastung der Justiz weiter verschärfen.
Dr. Christian Rosinus und Ludger Quante diskutieren in zwei kontroversen Folgen wie es dazu kommen kann, dass man strafrechtlich geschädigt wird, welche Rolle Compliance und Unternehmenskultur im Wirtschaftsstrafrecht spielen und an welchen Stellen der Gesetzgeber gefragt wäre.
Richtiges Verhalten bei behördlichen Durchsuchungen
Dass Unternehmen von behördlichen Durchsuchungsmaßnahmen betroffen sind, stellt keinen Ausnahmefall dar. Um auch in der Hektik der Durchsuchung Ruhe bewahren zu können, sollten Unternehmen dafür Sorge tragen, dass Leitungspersonal und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Erstfall vorbereitet sind.
Die Durchsuchung ist eine klassische Ermittlungsmaßnahme, von der Behörden im Ermittlungsverfahren regelmäßig Gebrauch machen. Wenn es um strafrechtliche Vorwürfe geht, ist Anlass für eine Durchsuchung gegeben, wenn konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine bestimmte Straftat begangen wurde und die geplante Durchsuchung Aussicht darauf bietet, insbesondere zur Ergreifung der beschuldigten Person oder dem Auffinden von Beweismitteln zu führen.
Durchsucht werden können Wohn- oder Geschäftsräume, aber auch andere Sachen wie Fahrzeuge – und zwar bei Beschuldigten selbst oder auch bei Dritten. Hier kommen Unternehmen und Privatpersonen gleichermaßen in Frage. Selbst bei Straftaten mit Unternehmensbezug sind Durchsuchungsmaßnahmen oft nicht auf die Geschäftsräume begrenzt. Häufig werden parallel die Privaträume der Beteiligten durchsucht. Insbesondere wenn die eigenen vier Wände durchsucht werden, wird es für die Beteiligten unangenehm. In den allermeisten Fällen sind die Beamtinnen und Beamten aber bemüht, so diskret wie möglich vorzugehen.
Grundsätzlich ist für eine Durchsuchung ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss erforderlich. Im Ausnahmefall – bei Gefahr im Verzug – haben die Ermittlungsbehörden aber eine sog. Eilkompetenz. Das heißt, insbesondere die Staatsanwaltschaft kann im Eilfall die Durchsuchung auch selbst anordnen, wenn eine Richterin oder ein Richter nicht erreichbar ist. In der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis kommen Eilfälle praktisch nie vor und auch in den Übrigen Fällen versuchen die Gerichte, durch die Einrichtung von Bereitschaftsdiensten vorzubeugen.
In der konkreten Durchsuchungssituation ist es meist nicht sinnvoll und zeitlich möglich, die rechtliche Zulässigkeit des Durchsuchungsbeschlusses zu prüfen. Dann geht es natürlich primär darum, die akute Situation sinnvoll zu meistern.
Eine (nachträgliche) Überprüfung kann je nach Einzelfall aber sinnvoll sein, denn das Gesetz stellt bestimmte Anforderungen an den Durchsuchungsbeschluss. Im Grunde geht es darum, dass sich dem Beschluss Rahmen und Ziel der Durchsuchung entnehmen lassen müssen. Zu diesem Zweck wird der Beschluss im Idealfall eine Schilderung des Tatvorwurfs enthalten, die wesentlichen Verdachtsmomente darlegen und jedenfalls eine grobe Beschreibung der Beweismittel enthalten, die die Ermittlungsbehörden zu finden hoffen.
Wie verhalten Sie sich richtig im Rahmen einer Durchsuchung?
Wenn es um eine Durchsuchung geht, werden primär Beamtinnen und Beamte der Polizei oder Staatsanwaltschaft involviert sein. Je nach Sachverhalt können bspw. aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzbehörden bzw. der Steuerfahndung, des Zolls, der Bankenaufsicht oder der Kartellbehörden vor der Tür stehen.
Unabhängig davon, wer die Maßnahme durchführt: Die Durchsuchung ist eine Ausnahmesituation für alle Beteiligten und sorgt oft für reichlich Unruhe im Unternehmen oder Zuhause. Hinzu kommt, dass die Beamtinnen und Beamten häufig schon früh morgens erscheinen werden. Nicht ohne Grund ist im Englischen von „dawn raids“ die Rede.
Betroffenen ist zu empfehlen, sich nicht überrumpeln zu lassen und, so gut es geht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Eine gute Vorbereitung auf den Ernstfall kann Betroffene in einer solchen Situation davor bewahren, unter dem Eindruck des Geschehens Nachteile zu erleiden, die später nicht mehr ausgemerzt werden können.
Bei der Durchsuchung im Unternehmen beginnt die richtige Vorbereitung und Begleitung der Maßnahme schon am Empfang. Idealerweise ist dort eine Liste mit internen und externen Ansprechpersonen hinterlegt, die sofort informiert werden sollen. Dazu gehören auf Strafrecht spezialisierte Anwältinnen und Anwälte und die konkret festzulegenden internen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner.
Man sollte sich zudem unbedingt den Durchsuchungsbeschluss zeigen und von der beauftragten Anwältin/dem Anwalt prüfen lassen. Zum einen können Sie dem Beschluss zunächst die Antwort auf eine der wichtigsten Fragen entnehmen: ob Sie Beschuldigte(r) oder Dritte(r) sind. Zum anderen kann der Durchsuchungsbeschluss Ihnen Auskunft darüber geben, auf welche Räume, Unterlagen etc. die Durchsuchung ggf. beschränkt ist. Da auch Zufallsfunde, die nicht den konkreten Durchsuchungsgegenstand betreffen, regelmäßig verwertbar sind, ist es ratsam, den Umfang des Durchsuchungsbeschlusses genau zu prüfen. Auch das Datum des Durchsuchungsbeschlusses sollte überprüft werden, dieser verliert nach sechs Monaten ohne Vollzug seine Gültigkeit, was aber praktisch selten vorkommt.
Zudem wird sich in der Regel eine Einsatzleiterin oder ein Einsatzleiter unter den Durchsuchungspersonen befinden. Hier sollte man sich den Dienstausweis zeigen lassen, Name und Dienststelle notieren. Sie können und sollten die Beamtinnen und Beamten bitten, mit dem Beginn der Durchsuchung bis zum Eintreffen des Rechtsbeistands zu warten. Es gibt zwar kein Recht darauf, mit der Durchsuchung zu warten, in der Praxis sind die Ermittlungspersonen jedoch häufig recht entgegenkommend, weil durch die Anwesenheit von Anwältinnen und Anwälten die Durchsuchung professionell begleitet wird.
Während der Durchsuchung sollte man sich stets professionell verhalten. Eine Kooperation oder gar Mithilfe ist im Strafverfahren grundsätzlich nicht verpflichtend – man muss die Maßnahme lediglich über sich ergehen lassen. Gerade für Unternehmen bietet sich die Kooperation mit den Ermittlern in den meisten Fällen regelmäßig an.
Auch wenn Sie sich vielleicht instinktiv direkt vor Ort zum Tatvorwurf äußern möchten, ist die Hektik der Durchsuchung nicht der richtige Rahmen, um eine Aussage zu machen. Daher ist grundsätzlich anzuraten, soweit rechtlich zulässig, zunächst keine Erklärungen abzugeben oder Fragen zu beantworten, solange nicht Rücksprache mit den beratenden Anwältinnen und Anwälten gehalten werden konnte. Beschuldigte haben ohnehin das Recht, die Aussage zu verweigern. Potenzielle Zeuginnen und Zeugen sollten die Gelegenheit wahrnehmen, eine Anwältin/einen Anwalt als Zeugenbeistand hinzuzuziehen.
Während der Durchsuchung werden in aller Regel Dokumente und Unterlagen sowie Daten sichergestellt und unter Umständen beschlagnahmt. Dies kann in Wirtschaftsstrafverfahren enorme Ausmaße annehmen. Dazu gehören üblicherweise auch riesige Datenmengen, einschließlich E-Mails, Chatverläufen, gespeicherten Dokumenten, etc., die von den Beamtinnen und Beamten sichergestellt und gesichtet werden. Wichtig ist hier, genau zu prüfen, dass nur solche Daten betroffen sind, die auch vom Durchsuchungsbeschluss erfasst sind. Sind besonders große Datenmengen oder komplexe Systeme betroffen, stellt dies oft auch die (hauseigene) IT vor Herausforderungen. Dies gilt insbesondere, wenn Daten wiederhergestellt werden müssen, was mehrere Wochen Arbeitsaufwand bedeuten kann. Daher ist es mittlerweile üblich geworden, in großen Wirtschaftsstrafverfahren Vereinbarungen über die zu liefernden Daten mit der Ermittlungsbehörde zu treffen.
Wichtig ist, keine Unterlagen verschwinden zu lassen oder zu löschen. Das kann eine Strafvereitelung darstellen oder ein Indiz für Verdunkelungsgefahr sein, was z.B. zu einer Verhaftung von Beschuldigten führen kann und nützt am Ende niemandem.
Von den Behördenvertreterinnen und -vertretern wird zu den sichergestellten Unterlagen und Daten ein Sicherstellungsverzeichnis angefertigt, in dem diese aufgeführt werden. Man sollte gemeinsam mit den beratenden Anwältinnen und Anwälten genau prüfen, dass alles vollständig erfasst wird und auch so bezeichnet wird, dass man nachvollziehen kann, welche Unterlagen oder Datenträger von der Sicherstellung umfasst sind. Um den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten zu können, ist es wichtig, dass man versucht, die sichergestellten Unterlagen zu kopieren. Nicht immer wird das noch vor Ort möglich sein. Ggf. kann man diese im Nachgang der Durchsuchung in Kooperation mit den Ermittlungsbehörden einscannen lassen. Elektronische Daten können dagegen verhältnismäßig einfach gespiegelt bzw. kopiert werden.
Wichtig ist, dass in aller Regel auf dem Sicherstellungsverzeichnis vorsorglich der Sicherstellung bzw. Beschlagnahme widersprochen wird und die Daten und Unterlagen nicht freiwillig herausgegeben werden. Dies ist aus datenschutzrechtlichen Gründen und für spätere Rechtsbehelfe empfehlenswert.
Die Durchsuchung ist beendet, wenn die Durchsuchungsbeamtinnen und -beamten durch ausdrückliche Erklärung oder schlüssiges Verhalten zum Ausdruck bringen, dass die Maßnahme abgeschlossen ist. Dann ist auch der Durchsuchungsbeschluss „verbraucht“. Es ist allerdings auch möglich, die Durchsuchung zu unterbrechen. Durchsuchungen vor Ort können manchmal mehrere Tage dauern. Besonders zu erwähnen ist zudem, dass auch die Durchsicht von Unterlagen und elektronischen Speichermedien im Nachgang zum eigentlichen Durchsuchungstag nach § 110 StPO noch zur Durchsuchung gehört.
Im Nachgang einer Durchsuchung bietet es sich an, eine Besprechung mit der Belegschaft durchzuführen und die Umstände – sofern juristisch sinnvoll – zu kommunizieren und ggf. die erforderlichen nächsten Schritte zu koordinieren. Dann kann auch über Rechtsbehelfe entschieden werden. In der Praxis wird darauf häufig aus verschiedenen Gründen verzichtet. Dies sollte im Einzelfall nach Beratung mit den Anwältinnen und Anwälten entschieden werden.
Wie können Sie sich präventiv auf den Ernstfall vorbereiten?
Idealerweise sollte man eine Durchsuchung nicht erst vorbereiten, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Ist bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wird es oft schon zu spät für Präventivmaßnahmen sein, da die anstehende Durchsuchung in der Regel natürlich nicht im Vorhinein angekündigt wird. Daher sollte eine gute Durchsuchungsprophylaxe Teil Ihres Compliance Management Systems sein.
Dabei sind insbesondere die beratenden Anwältinnen und Anwälte, die internen Ansprechpartnerinnen und -partner und etwaige Verhaltensregeln festzulegen. Zudem sollten Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intensiv auf eine derartige Situation durch Schulungen vorbereiten. Dazu sollte auch gehören, sie über ihre Rechte als potenzielle/r Zeugin/Zeuge oder Beschuldigte/r aufzuklären.
Fazit
Eine Durchsuchung ist eine Extremsituation für alle Beteiligten. Insbesondere bei Durchsuchungen im Unternehmen mulitpliziert sich diese Wirkung, da zumeist eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern involviert ist. Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen gut beraten, eine Durchsuchungsprophylaxe in das eigene Compliance Management System zu integrieren. Dann sind Sie und Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch im Ernstfall gut gewappnet.