Handlungsfähig in der Krise: Compliance Coaching für Manager unter Verdacht
Führungskräfte, die unter Verdacht geraten, gegen Compliance-Vorschriften verstoßen zu haben, stehen zunächst vor einem juristischen Problem, im schlimmsten Fall sogar vor einem Strafverfahren. Gleichzeitig müssen sie in ihrer Rolle als Managerinnen und Manager handlungsfähig bleiben und ihre Führungsaufgabe wahrnehmen. Die wirtschaftlichen und juristischen Hürden zu nehmen und gleichzeitig die Konsequenzen eines Strafverfahrens, die bis in das Privatleben hinein reichen, zu bewältigen, stellt eine große Herausforderung dar. Oft bleibt Betroffenen nur noch begrenzter Raum zum Handeln, wenn das Gehirn aus Angst in den Krisenmodus umschaltet: fight, flight oder freeze. Dr. Christian Rosinus und Dorette Segschneider diskutieren, wie es zu Handlungsblockaden kommen kann, welche Verhaltensmuster einige Betroffene zeigen und wie Compliance Coaching Betroffenen helfen kann, Wege aus der Krise zu finden.
Für Unternehmen und Führungskräfte die unter Verdacht compliancewidrigen Verhaltens geraten, stellen sich zahlreiche juristische und wirtschaftliche Fragen. Hinzu kommt , dass die laufenden Managementaufgaben bewältigt werden müssen. Der psychische Druck, der in solchen Situationen auf Betroffenen und deren Umfeld lastet, kann enorm sein, insbesondere wenn es zur Einleitung eines Strafverfahrens kommt.
Beim Versuch, effektive Verteidigung im Strafverfahren, Handlungsfähigkeit im Beruf und den optimalen Umgang mit der Situation gegenüber Familie und persönlichem Umfeld zu bewältigen, kann es schnell zu Überforderung und Handlungsblockaden kommen. Dieser Zielkonflikt kann es Betroffenen schwermachen, das bestmögliche Ergebnis im Strafverfahren zu erreichen.
Für einige Betroffene führt die Konfrontation mit einem gegen sie gerichteten Verdacht sogar so weit, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind. Compliance Coaching kann hier bereits präventiv ein wichtiger Beitrag zur Krisenbewältigung sein oder Wegweiser in einer akuten Verdachtssituation.
Wie verhalten sich Betroffene, die unter Verdacht geraten sind?
Das Spektrum von Reaktionen Betroffener, die unter Verdacht geraten sind, gegen Compliance-Regeln verstoßen zu haben, ist breit. Hinzu kommt, dass sich ein Verdacht häufig nicht bewahrheitet und auch Unschuldige „ins Visier“ geraten und dennoch mit den Belastungen eines Strafverfahrens umgehen müssen.
Die meisten Betroffenen reagieren eher entspannt und bleiben auch unter Verdacht handlungs- und aufnahmefähig. Einige sind dagegen nicht in der Lage, in der Extremsituation souverän zu agieren. Konfrontiert mit Verdachtsmomenten oder gar einem Strafverfahren, schaltet das Gehirn meist intuitiv in angstgetriebene Denk- und Verhaltensmuster um: freeze, fight oder flight. Einige Betroffene reagieren mit Schock und Überforderung, wodurch ihnen keine Handlungsmöglichkeit verbleibt. Sie wissen weder vor noch zurück, sind also im freeze-Zustand. Andere wiederum sind voller Tatendrang und begegnen den Vorwürfen mit Angriffen – sie sind im fight-Modus. Viele Verdachtsmomente treffen zudem Unschuldige, die sich zu Recht aktiv gegen die Vorwürfe zur Wehr setzen wollen. Wiederum andere verfallen in ein Verhaltensmuster, das man als Verleugnung oder Flucht bezeichnen könnte – flight-Modus. Sie gestehen sich etwaige Schuld, soweit an dem Verdacht tatsächlich etwas „dran“ ist, allenfalls zurückhaltend oder gar nicht ein und neigen dazu, die Realität zu leugnen. Fällt der Betroffene auf eine dieser angstgetriebenen Reaktionen zurück, ist eine konstruktive Bearbeitung des Falles erschwert.
Raus aus der Schockstarre: Wie können Betroffene ihre Handlungsfähigkeit zurückerlangen?
Was können Betroffene in einer solchen Situation tun, um trotzdem einen kühlen Kopf zu bewahren? Das hängt natürlich von der individuellen Situation ab. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass Stress und Anspannung das innere Angstsystem befeuern und damit unser Emotionsmanagement, den sogenannten Präfrontalen Cortex, lahmlegen. Die Folge: unsere Handlungsfähigkeit ist eingeschränkt. Ein strategisch kluges Agieren im Strafverfahren ist im Zustand der eingeschränkten Handlungsfähigkeit kaum möglich. Vor diesem Hintergrund können Betroffene bereits präventiv gegensteuern und gezielt Techniken trainieren, um die Handlungsfähigkeit auch in Krisensiutationen zu gewährleisten. Compliance Coaching kann dabei helfen, die individuell passende Strategie zu finden und nachhaltig zu implementieren.
Im optimalen Fall trainieren ManagerInnen regelmäßig ihren Emotionsmanager im Kopf – als präventive Maßnahme für den strafrechtlichen Ernstfall. Wer jedoch „untrainiert“ in einem Compliance-Verfahren in einen freeze-Zustand gerät, muss die eigene Handlungsfähigkeit z.B. über Mentaltechniken zurückerlangen. Spätestens dann ist es allerdings oft sinnvoll, externe Hilfe und Unterstützung zu suchen. Hier kann ein Compliance Coach ansetzen und Betroffenen aktiv helfen, schädliche Denkmuster aufzulösen.
Ziel des Compliance Coaching ist es in diesen Fällen im ersten Schritt, die Selbstwahrnehmung zu fördern, um dann das Selbstmanagement wieder zu aktivieren. Um dem Gefühl der Ohnmacht zu begegnen, werden dazu zunächst Felder identifiziert, in denen der Betroffe ein Gefühl der Handlungsunfähigkeit erlebt (Selbstwahrnehmung). In einem zweiten Schritt werden im Coachingprozess mögliche Lösungs- und Handlungsideen erarbeitet (Selbstmanagement). Der Compliance Coach unterstützt den Betroffenen dabei, den Wechsel von der Opferrolle in eine proaktive Rolle zu schaffen. Der Perspektivwechsel bewirkt, dass sich Blockaden lösen und ist für viele Betroffene ein Befreiungsschlag.
Compliance Coaching lohnt sich!
Insbesondere zum Thema Mentaltechniken bietet sich online eine schier endlose Fülle an Coaching-Videos und Anleitungen, die man sich in Eigenregie antrainieren kann. Allerdings kann ein Compliance Coach als neutrale Person eine extrem große Stütze sein, indem sie über Mentaltechniken hinaus Handlungsoptionen entwickelt, diese an der Seite des Betroffenen aktiv begleitet und den Betroffen dadurch aus dem freeze-Zustand zurück in seine Handlungsfähigkeit bringt. Der Mehrwert eines Compliance Coaches, der das Vorgehen auf die individuellen Bedürfnisse des Betroffenen abstimmen und effizient umsetzen kann, ist enorm.
Welche Strategie für den Umgang mit Familie, Freunden und anderen Betroffenen?
Obwohl intuitiv viele Betroffene dazu tendieren, die sich abzeichnende Krise von Familie und Freunden fernzuhalten, ist Schweigen – jedenfalls im engsten Familienkreis – häufig die falsche Strategie. Hierdurch erhöht sich lediglich der eigene Druck und die Scham, wenn das Geschehene irgendwann ans Licht kommt. Da sich eine Verdachtssituation oder ein laufendes Strafverfahren stark auf die persönlichen Bindungen des Betroffenen auswirken kann, sind Ansprechbarkeit und Transparenz – im Rahmen des juristisch Sinnvollen – ganz wesentliche Faktoren bei der Krisenbewältigung. Transparenz schafft großes Vertrauen und Verbundenheit mit Familie und anderen nahestehenden Personen, die der Betroffene gerade in einer solchen Situatuon braucht. Wie die Kommunikation bestenfalls ablaufen sollte, ist Einzelfallfrage und hängt zudem stark davon ab, ob und in welchem Maß das Vorgefallene bereits Außenwirkung erlangt hat, bspw. durch Medienberichte. Bei dieser sensiblen Entscheidung kann – neben der juristischen Beratung – die Beratung durch einen Compliance Coach helfen, die richtige Weichenstellung zu schaffen.
Fazit
Der Umgang mit Verdachtsfällen und Strafverfahren bei Compliance-Verstößen ist nervenaufreibend. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, müssen Betroffene inneren Denkprozesse wahrnehmen und schädliche Reaktionsmuster durchbrechen. Die dafür notwendigen Strategien und die Unterstützung bieten Compliance Coaches.
Auch Unternehmen selbst können ihren Beitrag leisten, Unternehmensführung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Verdachtssituationen zu schützen. Die Implementierung eines funktionierenden Compliance-Systems ist ein wichtiger Baustein, um Verstöße und (strafrechtliche) Konsequenzen zu vermeiden. Damit Compliance-Richtlinien aber keine leeren Hüllen bleiben, müssen sie von der Unternehmenskultur und den Werten und Verhaltensweisen der Unternehmensführung mitgetragen werden – Tone from the Top!