Abschnitte eines Wirtschaftsstrafverfahrens
Die Situation, mit einem Wirtschaftsstrafverfahren konfrontiert zu sein, ist häufig selbst erfahrenen Führungskräften neu. In dieser Woche geht es im Podcast darum, Ihnen einen Überblick über den Ablauf eines Wirtschaftsstrafverfahrens zu geben. Dr. Christian Rosinus erklärt die Abschnitte eines Wirtschaftsstrafverfahrens, vom Ermittlungsverfahren bis zum Urteilsspruch, und was Beschuldigte, Angeklagte oder Dritte im Verfahren erwartet.
Wie läuft ein Wirtschaftsstrafverfahren ab?
Wirtschaftsstrafverfahren lassen sich – wie Strafverfahren im Allgemeinen – in verschiedene Verfahrensabschnitte unterteilen. Ausgangspunkt eines jeden Strafverfahrens ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Bis es zu einem Urteilsspruch kommt, durchläuft das Verfahren die Stadien Ermittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren. Je nach Einzelfall können sich Rechtsmittelverfahren und Vollstreckungsverfahren anschließen.
Was passiert im Ermittlungsverfahren?
Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens ist sozusagen der verfahrensrechtliche „Startschuss“. Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens übernimmt regelmäßig die Staatsanwaltschaft, die Ermittlungsmaßnahmen werden von der Polizei oder anderen Ermittlungspersonen, wie beispielsweise der Steuerfahndung, ausgeführt. Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist grundsätzlich, dass ein Anfangsverdacht für das Vorliegen einer Straftat besteht. Je nach Delikt findet die Strafverfolgung nur dann statt, wenn außerdem ein Strafantrag gestellt wird.
Von diesem „Startschuss“ werden Beschuldigte häufig gar nichts mitbekommen. Ermittlungsbehörden halten diese Information Beschuldigten gegenüber oftmals zurück, um den Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Spätestens wenn man beim Gang zum Briefkasten eine Vorladung zur Vernehmung vorfindet oder die Ermittlungsbeamtinnen und -beamten mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür stehen, ist klar, da läuft ein Ermittlungsverfahren. Im schlimmsten Fall gibt es bereits einen Haftbefehl und die oder der Beschuldigte wird in Untersuchungshaft genommen.
Werden Sie als Beschuldigte oder Beschuldigter mit Ermittlungsmaßnahmen in einem Wirtschaftsstrafverfahren konfrontiert, ist es grundsätzlich ratsam, sich mit einer Verteidigerin oder einem Verteidiger zu besprechen. Insbesondere vor einer Vernehmung sollten Sie mit Ihrem Rechtsanwalt abstimmen, ob und in welchem Umfang eine Äußerung zum Vorwurf juristisch sinnvoll erscheint. Sobald Sie als Beschuldigte oder Beschuldigter im Verfahren geführt werden, steht es Ihnen nämlich frei, ob Sie Angaben zum Vorwurf machen oder nicht. Sie sind nicht verpflichtet, an der Strafverfolgung mitzuwirken.
Auch wenn Sie als Zeugin oder Zeuge zu einer Vernehmung geladen werden, kann das Hinzuziehen einer Anwältin oder eines Anwalts sinnvoll sein. Jedenfalls sollten Sie vor einer Aussage genau prüfen, ob Sie sich oder nahe Angehörige damit selbst belasten und der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzen könnten.
Wie das Ermittlungsverfahren endet, entscheidet sich anhand des Ermittlungsergebnisses. Erscheint die Verurteilung überwiegend wahrscheinlich, wird die Staatsanwaltschaft Anklage beim zuständigen Gericht erheben oder den Erlass eines Strafbefehls beantragen.
Nicht jedes Ermittlungsverfahren führt aber zur Anklageerhebung oder zur Beantragung eines Strafbefehls. Tatsächlich endet ein Großteil der Strafverfahren durch Einstellung, entweder mangels Tatverdachts oder aus Opportunitätsgründen z.B. gegen Zahlung einer Geldauflage.
Gerade in Wirtschaftsstrafverfahren besteht durch gute Strafverteidigung bereits im Ermittlungsverfahren oft erhebliches Potenzial. Hier können frühzeitig wichtige Weichen gestellt werden.
Nach der Anklageerhebung: Zwischen- und Hauptverfahren
Kommt es zur Anklageerhebung, schließt sich das Zwischenverfahren an. In dieser Phase entscheidet das zuständige Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Ergeht ein Eröffnungsbeschluss, folgt das Hauptverfahren, das im Wesentlichen aus der mündlichen Hauptverhandlung besteht.
Welches Gericht die Hauptverhandlung führt, hängt vom Vorwurf und der Straferwartung ab. Während für geringfügigere Kriminalität das Amtsgericht als erste Instanz zuständig ist, werden Fälle schwererer Kriminalität erstinstanzlich vor dem Landgericht verhandelt. Für viele Wirtschaftsstrafsachen ist bei den Landgerichten eine spezielle Wirtschaftsstrafkammer zuständig, die in Wirtschaftskriminalität erfahren und auf diese Fälle spezialisiert ist.
Die Entscheidung im Hauptverfahren – Was droht Angeklagten?
Das Hauptverfahren endet durch die Entscheidung des Gerichts – Urteil oder Freispruch. Das Gericht kann zu Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilen, letztere gegebenenfalls unter Aussetzung zur Bewährung. Welche Strafe konkret im Raum steht, hängt vom Einzelfall ab und lässt sich nicht pauschal beantworten. Die richtige Strafe zu finden, gehört zu den Kernaufgaben des Gerichts und wird durch verschiedenste Faktoren beeinflusst, wie z.B. der Vorbelastung der oder des Angeklagten.
Werden keine Rechtsmittel eingelegt, wird das Urteil rechtskräftig und die Strafe vollstreckt. Wird das Urteil mit Rechtsmitteln angefochten, geht das Verfahren sozusagen in die nächste Runde: Es folgt das Rechtsmittelverfahren.
Das Landgericht als erste Instanz – Was ist zu beachten?
Während die Verhandlung vor einer hochspezialisierten Wirtschaftsstrafkammer auch für Beschuldigte von Vorteil sein kann, sind mit der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Landgerichts einige Hürden verbunden.
Ist das Landgericht als erste Instanz zuständig, entfällt grundsätzlich die Aussicht auf eine zweite Tatsachenistanz. Was bedeutet das nun? Gegen Urteile des Amtsgerichts kann in der Regel Berufung eingelegt werden. Dann wird das Verfahren in zweiter Instanz – nun beim Landgericht – weitergeführt. Das Landgericht wird in diesem Fall als zweite Tatsacheninstanz eine neue Beweisaufnahme durchführen. Beginnt das Verfahren aber schon beim Landgericht als Erstinstanz, gibt es grundsätzlich keine zweite Tatsacheninstanz. Will ich ein Urteil anfechten, bleibt mir hier regelmäßig nur die Revision. Anders als im Berufungsverfahren werden im Revisionsverfahren allerdings nur Rechtsfragen überprüft. Da nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung steht, ist eine gute Strafverteidigung umso wichtiger.
Hinzu kommt, dass die Verhandlung vor dem Landgericht weniger ausführlich dokumentiert wird als eine solche vor dem Amtsgericht. Während das Verhandlungsprotokoll beim Amtsgericht als sog. Wortprotokoll geführt wird, fehlt in Verhandlungsprotokollen des Landgerichts insbesondere eine Wiedergabe des Inhalts der in der Verhandlung gemachten Aussagen. Auch die Anfertigung von Ton- oder Videoaufzeichnungen der Verhandlung – mittlerweile Standard in vielen anderen Rechtsordnungen – hat sich in Deutschland bisher nicht durchgesetzt.
Obwohl es in Verhandlungen vor den Landgerichten um schwerwiegendere Vorwürfe und höhere Strafen geht, werden diese schlechter dokumentiert und lassen weniger Raum für Überprüfung. Diese Kuriosität des deutschen Strafprozessrechts ist seit Langem Gegenstand der Reformdiskussionen.
Fazit
Gerade in Wirtschaftsstrafsachen können Strafverfahren äußerst komplex werden und ziehen sich nicht selten über mehrere Jahre in die Länge. Bereits in frühen Verfahrensstadien kann gute Strafverteidigung den Ausgang eines Wirtschaftsstrafverfahrens maßgeblich beeinflussen. Es kann sich also lohnen, hier nicht zu zögern und die Verteidigerin oder den Verteidiger frühzeitig ins Boot zu holen.